„Ich kann das schon allein“, ruft das Kleinkind eines Morgens und flitzt bewaffnet mit den eigenen Schuhen davon. Seinen Pullover will es nun auch selbst aussuchen, auf dem Speiseplan stehen plötzlich ungewohnte Dinge und die neue Lieblingsantwort auf alles ist einfach nur „nein!“. Wenn euch solche Szenen bekannt vorkommen, darf ich euch herzlich in der Autonomiephase willkommen heißen!
Umgangssprachlich als Trotzphase bekannt, beginnen Kinder ab ca. 18 Monaten damit, sich erste wichtige Freiräume zu erarbeiten. Ja, du hast richtig gehört: Dein kleiner Schatz fordert seine Unabhängigkeit nicht erst in der Pubertät ein. Schon früh verspürt er mehr und mehr den Wunsch, kleine Herausforderungen des Alltags selbst zu übernehmen. Längst eingespielte Abläufe werden plötzlich in schier endlose Länge gezogen. Neben dem Wunsch nach Selbstständigkeit, wollen viele Kinder in dieser Phase auch Dinge ändern bzw. abschaffen, die vorher völlig in Ordnung waren.
In der Autonomiephase entdecken Kinder ihren eigenen Willen und wollen diesen jetzt auch durchsetzen.
Das Wickeln auf dem Wickeltisch wird auf einmal zu einem Ding der Unmöglichkeit, abends baden macht keinen Spaß mehr und schlafen im Gitterbett (was wir vorher so hart erkämpft hatten) ist nun wieder ausgeschlossen. Der Klassiker ist auch: Sie werden nachts plötzlich wieder oft wach, wollen aus ihrem Bett raus und sich der Nähe ihrer Eltern versichern. Klammern und Fremdeln sind also wieder an der Tagesordnung. Ab etwa 2 Jahren verweigern einige Kinder zum ersten Mal den Mittagsschlaf, trotz der Müdigkeit. Sie wollen eben selbst bestimmen, wann und was sie tun. Das bestehende Regelwerk scheint in solchen Momenten komplett aus den Fugen zu geraten.
Und während wir zusehen, wie Junior versucht den linken Schuh hochkonzentriert über den rechten Fuß zu stülpen, wird unser Geduldsfaden dünner und dünner. Denn wir haben Jobs, Termine, Deadlines und Verabredungen, die so gar nicht mit der neuen Experimentierfreudigkeit unseres Kindes zusammenpassen.
Und weil die Autonomiephase bis zum 5. Lebensjahr dauern kann (Bitte einmal tiiiiief atmen, um das zu verdauen.), solltet ihr einen entspannten Weg durch diese spannende Zeit suchen. Wie das geht, zeige ich euch. Alles beginnt mit Verständnis…
Typisch kleiner Trotzkopf!
Wutausbrüche und Alleingänge: Das steckt dahinter
Betrachten wir die Situation mit den Augen unserer Kleinen, passiert folgendes: Genau wie bei Erwachsenen reicht es nicht aus, wenn Kinder satt, sauber und unversehrt sind. Neben diesen körperlichen Befindlichkeiten gibt es auch psychische Bedürfnisse, die nun mehr und mehr befriedigt werden wollen. Denn um sich zu einer selbstständigen und starken Persönlichkeit zu entwickeln, braucht euer Kind Unterstützung.
Will es sich plötzlich die Schuhe morgens allein anziehen, ist es auf der Suche nach einem Erfolgserlebnis. Nichts wird ihm das Gefühl ersetzen, diesen Meilenstein zu erklimmen und dann gelobt zu werden. Gebt ihm diesen Raum! Wenn es mitbestimmen darf (Autonomie), was es anzieht und das auch noch allein schafft (Kompetenz), erfüllt ihr die beiden wichtigsten psychischen Bedürfnisse dieser Phase. Dabei dürft ihr dem Kind natürlich Hilfe anbieten, aber nicht aufdrängen. Als Eltern habt ihr die Aufgabe, es beim groß- und selbstständig werden zu unterstützen. Hier ein paar Tipps dafür:
Streng sein oder nachgeben?
So schafft ihr es entspannt durch die Trotzphase
Werdet Ja-Sager! Damit euer Kind diesen wichtigen Schritt in seiner Entwicklung machen kann, braucht es Eltern, die ihm die Möglichkeit geben dazuzulernen. Erlaubt dem Kind, was für euch machbar ist und lockert seine Grenzen. Fördert seine Neugier und stoppt es nur, wenn Gefahr im Verzug ist.
Macht euren Lebensraum entdeckerfreundlich! Begebt euch auf die Höhe eures Kindes und räumt alles weg, was ihr ihm verbieten würdet. Was erkundet werden darf (Schubladen mit Löffeln, Bechern, ein Karton zum Reinkrabbeln, Spielzeug etc.) räumt ihr in seine Blickhöhe. Erschafft einen kleinen Entdeckerspielplatz. So kann es selbst kramen, räumen und lernen, ohne ständig „NEIN!“ zu hören. Und obendrein ist es für ein Weilchen beschäftigt. ;-)
Zurück ins Elternbett? Eine rasante Entwicklung kann Kindern in der Zeit auch Angst machen und einige neue Fragen oder sogar Zweifel aufkommen lassen. "Kommt die Mama denn auch wirklich wieder, wenn sie aus dem Zimmer geht?" oder "Bleibt die Mama auch sicher da, wenn ich eingeschlafen bin?" Hier gilt: Ruhe bewahren, für feste Rituale und Abläufe sorgen, die Grenzen sanft aufzeigen und möglichst konsequent bleiben. Ggf. müsst ihr in diesem Alter die gesamte Schlafsituation nochmal komplett überdenken und evtl. sogar einige Schritte zurückzugehen. Manchmal ist es sogar sinnvoll, ein Kind, das bereits in seinem Zimmer schläft, zurück ins Elternschlafzimmer einziehen zu lassen - und zwar so lange, bis sein Vertrauen in die Schlafsituation wieder aufgebaut und sich gefestigt hat. Wenn dein Kind wieder gut ein und durchschläft, könnt ihr den Plan mit dem eigenen Zimmer wieder in Angriff nehmen. Eins steht jedoch fest: eine Fremdelphase ist definitiv kein guter Zeitpunkt für Trennungen.
Bleibt ruhig! Wenn euer Kind mal wieder totales Chaos angerichtet hat und der Inhalt des ganzen Kleiderschranks in der Wohnung verteilt ist, atmet erstmal tief durch. Ihr wisst es besser als eure Wut. Erklärt eurem Kind in Ruhe, was euch nicht gefällt und macht aus dem Aufräumen ein gemeinsames Spiel.
Plant mehr Zeit ein! In der Autonomiephase ist es hilfreich eher aufzustehen als die Kinder und morgens schon Wichtiges vorzubereiten. Vielleicht sucht ihr auch schon am Abend gemeinsam Kleidung für den nächsten Tag heraus. Plant voraus, damit ihr Stolpersteine umschifft und pünktlich und vor allem fröhlich den Tag beginnen könnt.
Ahhhh!
Was tun, wenn die Wut kommt?
Ganz ohne Tränen und Wut wird es wahrscheinlich niemand durch die Trotzphase schaffen. Denn manchmal reicht schon eine Karotte, die falsch auf dem Teller liegt, um ein Kleinkind aus der Fassung zu bringen. Was ihr dann tun könnt? Findet als Erstes heraus, welches Bedürfnis dahintersteckt - ist euer Schatz evtl. müde oder braucht gerade etwas mehr Aufmerksamkeit? Versucht eine Lösung zu finden, indem er das bekommt, was er jetzt braucht. Lässt sich das aktuelle Bedürfnis nicht herausfinden oder befriedigen, dann seid einfach da für euren kleinen Entdecker und begleitet seinen Frust, ohne es kleinzureden. Dabei werden manche Kinder gern in den Arm genommen, andere wollen nicht angefasst werden. Denkt immer daran: „Druck erzeugt Gegendruck!“ Je gelassener ihr diese Phase nehmt, desto kooperativer und entspannter wird euer Kind auf euch reagieren. Bleibt in der Nähe, bietet ihm Optionen an und übt euch in Geduld.
Am Ende gibt es auch hier kein Patentrezept, also wird jede Familie ihren eigenen gemeinsamen Weg durch die Autonomiephase finden müssen. So schafft ihr Raum für die Entwicklung einer starken und selbstbewussten kleinen Persönlichkeit. Betrachtet es als Privileg, einen kleinen Menschen in dieser wichtigen Phase seines Lebens zu begleiten und sein sicherer Hafen zu sein, in einer Zeit, wenn seine kleine Welt komplett Kopf steht.
Alles Liebe wünscht eure Babyschlaffee!
Über die Autorin
Irina Kaiser ist Babyschlafexpertin, Stillberaterin und Mama von zwei Kindern. Seit 2017 steht sie mit ihrem umfangreichen Wissen und Erfahrung müden Eltern zur Seite auf ihrem Weg zu einem entspannteren Familienleben, ohne Schlafentzug. Ihre Online-Kurse sind bekannt für ihren sanften und bedürfnisorientierten Ansatz und haben bereits Tausenden von Familien geholfen, mehr Schlaf zu bekommen.
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